Komposita

Sobald Begriffe gebildet werden, die aus zwei oder mehr Kanji zusammengesetzt sind (sogenannte Kanjikomposita), sind rein theoretisch betrachtet mehrere Lesungen möglich. So wird der Begriff für China bzw. "Reich der Mitte" in Kanji 中国, eben aus den oben bereits erwähnten beiden Kanji kombiniert, geschrieben. Theoretisch sind bei diesem Kompositum folgende Lesungen denkbar:
1 . nakakuni, 2. nakakoku, 3. nakagoku, 4. chūkoku sowie 5. chūgoku
In der Realität wird im Japanischen 中国 einzig und allein "chūgoku" (= 5. Lesart) ausgesprochen. Aus diesem einzigen Beispiel kann man bereits folgende, für die Zukunft sehr nützlichen Faustregeln, ableiten, dass man bei der Lesung von Komposita

a. eine Vermischung von on und kun-Lesung vermeidet und
b. vorzugsweise die on-Version benutzt.

Es gibt im Übrigen keine Erklärung, warum man 中国 nicht "chūkoku" (d.h. eine weitere Lesart, die die Regeln a und b erfüllt) ausspricht. Bei Kanji, die mehrere on-Lesungen haben, und das sind die meisten, muss man die jeweilige Lesung der Komposita leider einzeln lernen. (So wird etwa der Begriff Paradies 天国 ("Himmelland"), das aus dem Kanji 天 "ten", das "Himmel" bedeutet und dem erwähnten 国 "Land" besteht, nicht etwa "tenkoku", sondern warum auch immer "tengoku" ausgesprochen.

Im Gegensatz zu Komposita, werden einzelne Kanji, d.h. Begriffe, die aus einem einzigen Kanji bestehen und z.B. in einem Satz einzeln gebraucht werden, in aller Regel nach der kun-Lesung gelesen. Mit anderen Worten wird das Kanji 国 in einem Satz wie "Dieses Land ist reich an Bodenschätzen." (この国は資源が豊富である。) nicht etwa "koku" oder "goku", sondern "kuni" ausgesprochen.

Schlussbemerkung zum Kanji
Die vorliegende Einführung machte deutlich, dass das heutige Kanji keineswegs eine Bilderschrift darstellt. Allerdings ist es von großem Nutzen, bei der Erlernung der Schriftzeichen den Symbolcharakter dieser faszinierenden Schrift zu nutzen und entweder auf die tatsächliche Entstehungsgeschichte der jeweiligen Kanji (Kanji-Etymologie) zurückzugreifen (das wäre der akademische Weg), oder aber persönliche Eselsbrücken herzustellen, die möglichst ausgefallen und somit einprägsam sein sollte (das wäre der amüsantere Weg!). Für das Schriftzeichen 食. das die Bedeutung
"essen" besitzt, hatte z.B. einer Ihrer Leidensgenossen die folgende persönliche Interpretation entwickelt:
"Seitenansicht eines Männchen mit Strohhut, das auf dem Boden hockt und Speisen zu sich nimmt."

TABE

Und was erkennen Sie in diesem Schriftzeichen?